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Rechtsanwalt

Mittwoch, 1. April 2015

Reform der Insolvenzanfechtung: Mehr Sicherheit vor Insolvenzanfechtungsklagen?

Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Insolvenzanfechtungsrecht muß ein Lieferant, dessen Kunde sich bekanntermaßen in Zahlungsschwierigkeiten befindet, für viele Jahre damit rechnen, daß er Zahlungen, die er von diesem noch erhält, später an einen Insolvenzverwalter zurückerstatten muß. Die Anfechtung betrifft gerade nicht nur unredliche Vermögensverschiebungen, sondern in der Mehrzahl der Fälle Zahlungen auf ganz normale Rechnungen für reguläre Warenlieferungen, Dienstleistungen usw.

Die Anfechtungsrisiken können für viele Unternehmen existenzbedrohend sein. Deshalb sind gegen diese Rechtsprechung in den letzten Jahren nicht nur Teile der Wissenschaft, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsverbände Sturm gelaufen.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat jetzt am 16. März 2015 einen „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vorgelegt. Mit der geplanten Gesetzesänderung soll das Anfechtungsrecht „punktuell neu justiert werden, um übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden“.

In der Begründung des Entwurfs wird ausdrücklich eingeräumt, daß die derzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Insolvenzanfechtungsrecht zu „Rechtsunsicherheiten [führt], welche die Praxis vor erhebliche Probleme bei der Prognose über den Ausgang anfechtungsrechtlicher Streitigkeiten stellen“. Das werde etwa von Bork konstatiert und unter anderem darauf zurückgeführt, „dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer überbordenden Ausdifferenzierung der Rechtsmaterie geführt habe, welche die Instanzgerichte überfordere.“ Das Insolvenzanfechtungsrecht lasse sich deshalb auch in der Beratungspraxis nicht mehr angemessen vermitteln.

Geändert werden soll u.a. die Vorschrift des § 133 InsO (Vorsätzliche Benachteiligung). Nach dem Entwurf soll sie folgenden Wortlaut erhalten (geplante Änderungen unterstrichen):

„(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger unangemessen zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Eine unangemessene Benachteiligung liegt nicht vor, wenn 

1. für die Leistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist, oder
2. die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist.

Es wird vermutet, dass der andere Teil den Vorsatz des Schuldners kannte, wenn er zur Zeit der Rechtshandlung wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger unangemessen benachteiligte.

(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.

(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt bei der Vermutung nach Absatz 1 Satz an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die eingetretene. Die Kenntnis des anderen Teils vom Vorsatz des Schuldners kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass
1. der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung nach § 802b Absatz 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung abgeschlossen hat oder
2. der Schuldner beim anderen Teil im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine Zahlungserleichterung nachgesucht hat.

(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.“

Die Vorschrift soll damit mehr also doppelt so lang werden wie bisher. Daß dadurch für mehr Rechtssicherheit gesorgt würde, ist schon deswegen sehr zu bezweifeln, weil etwa mit dem Wort „unangemessen“ ein weiterer unbestimmter Rechtsbegriff aufgenommen würde, der durch die Rechtsprechung anschließend erst einmal konkretisiert werden müßte. Das Hauptproblem ist, daß kategorial unterschiedliche Fälle in einer Vorschrift zusammen geregelt werden sollen. Gerade das aber ist der Grund für die Rechtsunsicherheit, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt:

Folgt man der mehr als zweitausendjährigen Rechtsgeschichte, soll die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung die Gläubiger davor schützen, daß ihr bankrotter Schuldner sein Hab und Gut beiseiteschafft und ihrem Vollstreckungszugriff entzieht. In diesen Fällen will der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen gerade nicht nachkommen, sondern dafür sorgen, daß seine Gläubiger leer ausgehen. In diesen Fällen ist die unredliche Absicht des Schuldners der tragende Grund für die Anfechtung.

Neben Vorsatz- und Schenkungsanfechtung gibt es die sog. besondere Insolvenzanfechtung, mit der die bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger rückgängig gemacht werden kann. Anfechtungsgrund ist in diesen Fällen nicht ein Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, sondern allein die objektive Tatsache der Zahlungsunfähigkeit: Wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, alle seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, dann führt die Zahlung an einen Gläubiger dazu, daß die übrigen Gläubiger benachteiligt werden.

Für die letzteren Fälle hat der Gesetzgeber allerdings im § 130 InsO eine Anfechtungsfrist von maximal drei Monaten bestimmt. Zweck dieser kurzen Anfechtungsfrist ist es, das Vertrauen des begünstigten Gläubigers in die Rechtsbeständigkeit der erhaltenen Zahlung zu schützen. Immerhin hat er ja nur das bekommen, worauf er einen regulären Anspruch hatte!

Dem Bundesgerichtshof ist die dreimonatige Anfechtungsfrist zu kurz. Deshalb wendet er die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO nicht nur auf unredliche Vermögensverschiebungen, sondern auch auf die Fälle bevorzugter Befriedigung einzelner Gläubiger an, indem er aus der Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit dessen Benachteiligungsvorsatz ableitet: Wisse der Schuldner, daß er nicht mehr alle Verbindlichkeiten erfüllen kann, bezahle er aber trotzdem die Rechnung eines Gläubigers, dann wisse er und wolle er damit auch, daß seine übrigen Gläubiger benachteiligt werden.

Der Bundesgerichtshof muß sich jedoch fragen lassen, welchen Sinn der „Benachteiligungsvorsatz“ des Schuldners als Tatbestandsvoraussetzung seiner Auffassung nach hat: Für die besondere Insolvenzanfechtung nach den §§ 130, 131 InsO ist es unerheblich, was der Schuldner gedacht oder gewollt hat, als der Gläubiger die Zahlung erhalten hat. Es genügt für die Anfechtbarkeit, daß der befriedigte Gläubiger wußte, daß sein Schuldner zahlungsunfähig ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die bevorzugte Befriedigung eines Gläubigers der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO und damit einer um neun Jahre und neun Monate längeren Anfechtungsfrist, wenn nicht nur der Gläubiger, sondern auch der Schuldner selbst weiß, daß er zahlungsunfähig ist. Dann nämlich soll im Regelfall anzunehmen sein, daß der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handle. Wenn nur der Gläubiger weiß, daß der Schuldner zahlungsunfähig ist, unterliegt eine von diesem geleistete Zahlung einer Anfechtungsfrist von drei Monaten, weiß es auch der Schuldner selbst, einer von zehn Jahren. Das ist absurd. Die Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit kann es nicht rechtfertigen, daß sich die Anfechtungsfrist für eine von ihm geleistete Zahlung um mehrere Jahre verlängert.

Es wird jedoch kaum je vorkommen, daß der Gläubiger über die finanzielle Situation seines Schuldners besser Bescheid weiß als dieser selbst. Wenn schon der Gläubiger weiß, daß sein Schuldner zahlungsunfähig ist, dann wird dieser erst recht wissen, daß er insolvent ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bewirkt also im Ergebnis nur, daß die vom Gesetzgeber in den §§ 130, 131 InsO bestimmte kurze Anfechtungsfrist von drei Monaten unterlaufen wird.

Mit einer Gesetzesänderung müßte deshalb dafür gesorgt werden, daß die Fälle bevorzugter Befriedigung einzelner Gläubiger, in denen der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung von einem Vorsatz des Schuldners völlig unabhängig ist, und die Fälle unredlicher Vermögensverschiebungen, in denen der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon die tragenden Legitimationsgrundlagen für die Anfechtung darstellen, präzise und eindeutig voneinander getrennt werden.

Mit einer solchen systematischen Klarstellung würde sehr viel für die Rechtssicherheit des Geschäftsverkehrs erreicht. Mit der jetzt vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgeschlagenen Gesetzesänderung würde die Unsicherheit voraussichtlich noch größer.

© 2015 Thore Jensen

Ergänzung vom 14.4.2015:
Nach dem Referentenentwurf, soll eine „unangemessene Benachteiligung“ der Gläubiger nicht vorliegen, wenn für die Leistung des Schuldners „unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist“. – Aus dieser Einschränkung ergibt sich im Umkehrschluß, daß künftig sogar derjenige, der einem (möglicherweise) Zahlungsunfähigen zu einem vollkommen angemessenen Preis und gegen Barzahlung eine Sache verkauft, mindestens vier Jahre lang fürchten müßte, den Kaufpreis an einen Insolvenzverwalter zurückerstatten zu müssen, wenn der Käufer zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs nicht zwingend auf diese Sache angewiesen war! Bislang sind solche Geschäfte als Bargeschäfte nach § 142 InsO der Anfechtung entzogen. Es ist auch völlig richtig, daß ein Händler, der eine Ware nicht auf Kredit verkauft, sich nicht darum scheren muß, ob der Käufer möglicherweise kurz vor der Insolvenz steht.

Wenn das Justizministerium wirklich meint, was es es mit dieser Klausel ausdrückt, dann ist die Behauptung, es solle das Anfechtungsrecht „punktuell neu justiert werden, um übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs“ zu vermeiden, eine üble Täuschung über den in Wirklichkeit gegensätzlichen Willen: Wenn man nicht einmal mehr gegen Barzahlung Waren verkaufen kann, ohne prüfen zu müssen, ob der Kunde die Ware unbedingt braucht und nicht insolvent ist, dann ist es zappenduster in Deutschland! Die Anfechtungsrisiken würden so drastisch steigen und so unkalkulierbar werden, daß viele Händler und Gewerbetreibende ernsthaft erwägen müßten, ihr Geschäft zu schließen.