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Rechtsanwalt

Mittwoch, 14. Oktober 2015

RegE zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts: Inkonsequent und unsystematisch

Am 29.9.2015 hat die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ beschlossen. Diesem Entwurf vorangegangen war der am 16.3.2015 veröffentlichte Referentenentwurf, zu dem ich mich in meinem Blog-Beitrag vom 1. April geäußert habe.

Weiterhin erklärter Zweck der geplanten Reform des Insolvenzanfechtungsrechts ist, „den Wirtschaftsverkehr sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts ausgehen“.

Gemeint sind damit diejenigen Rechtsunsicherheiten, für die der Bundesgerichtshof seit etwa 2006 sorgt, indem er es Insolvenzverwaltern v.a. durch seine Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) ermöglicht, selbst viele Jahre zurückliegende Leistungen auf vollkommen reguläre vertragliche oder gesetzliche Verbindlichkeiten vom Empfänger zurückzufordern, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Leistung bekanntermaßen (drohend) zahlungsunfähig war.

Die in § 133 InsO geregelte Vorsatzanfechtung geht über die frühere Absichtsanfechtung nach § 31 der Konkursordnung zurück auf die actio Pauliana des römischen Rechts. Die Ursprünge der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung reichen daher bis etwa in das 3. Jahrhundert n. Chr. zurück.

Rund 1.700 Jahre lang konnten mit diesem Rechtsbehelf allerdings nur unredliche Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden, die von einem Schuldner in der Absicht vorgenommen worden waren, bestimmte Vermögensgegenstände dem Vollstreckungszugriff seiner Gläubiger zu entziehen und so die Haftung für seine Schulden zu unterlaufen.

Zentrale Voraussetzung der Vorsatz- bzw. Absichtsanfechtung war immer, daß sich der Schuldner gegenüber seinen Gläubigern unredlich verhalten hatte. Wer als Gläubiger nur das erhalten hatte, worauf er eine regulären vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch gehabt hatte, war von der actio Pauliana selbst dann nicht betroffen, wenn er bei Erhalt der Leistung genau wußte, daß sein Schuldner zahlungsunfähig war.

Das ist in D. 42,8,6 (7) deutlich ausgesprochen:

Sciendum Iulianum scribere eoque iure nos uti, ut, qui debitam pecuniam recepit ante, quam bona debitoris possideantur, quamvis sciens prudensque solvendo non esse recipiat, non timere hoc edictum: sibi enim vigilavit.

Der unbefangene Leser des Gesetzestexts wird auch dem geltenden § 133 Abs. 1 InsO entnehmen, daß es bei der Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung um unredliche Vermögensverschiebungen geht: Nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, „die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte“.

Bis vor knapp zehn Jahren, d.h. bis zum Urteil vom 13. April 2006 (Az. IX ZR 158/05), wurde die Vorschrift auch vom Bundesgerichtshof noch so ausgelegt, – wenn auch unklar war, was genau als unredlich anzusehen sein sollte. Dann erklärte er das Erfordernis der Unredlichkeit für obsolet.

Seit diesem Urteil wird der nach dem Gesetzeswortlaut erforderliche Benachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel schon dann bejaht, wenn der Schuldner eine Rechtshandlung nur in dem Bewußtsein vorgenommen hat, (drohend) zahlungsunfähig zu sein: Wer als Schuldner wisse, daß er nicht mehr alle seine Schulden bezahlen kann, handle in der Regel mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er die Forderung eines Gläubigers bezahlt.

Die nach dem Gesetzeswortlaut zusätzlich erforderliche Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners läßt sich auf dieser Basis ebensoleicht bejahen: Wer als Gläubiger ebenfalls wisse, daß der Schuldner weiß, daß er nicht mehr alle seine Schulden bezahlen kann, der kenne auch dessen Benachteiligungsvorsatz.

Im rechtspraktischen Ergebnis hat der Bundesgerichtshof damit den Benachteiligungsvorsatz als Anfechtungsvoraussetzung abgeschafft. Als einzige echte Voraussetzung für die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung nach § 133 Abs. 1 InsO ist die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners geblieben.

Seit diesem Urteil des Bundesgerichtshofs erheben Insolvenzverwalter landauf landab massenhaft Anfechtungsklagen ausgerechnet gegen diejenigen, die die Vorsatzanfechtung eigentlich schützen soll: gegen Lieferanten, Kreditgeber, Krankenkassen, Finanzämter, Arbeitnehmer usw.

Wer sich zum ersten Mal einer Anfechtungsklage wegen angeblich vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung ausgesetzt sieht, obwohl er vom Schuldner nicht mehr als das erhalten hat, worauf er einen fälligen vertraglichen Anspruch hatte, wähnt sich im Gerichtssaal Hütchenspielern gegenüber.

Eine Begründung für den Bruch mit dem bis zu dem Urteil vom 13.4.2006 seit mehr als anderthalb Jahrtausenden geltenden Recht hat der Bundesgerichtshof bis heute nicht geliefert; siehe dazu: Foerste, Die Ausdehnung der Vorsatzanfechtung – ein rechtsstaatliches Problem, in: ZInsO 2013, S. 897 (898).

Eine tragfähige rechtstheoretische Begründung dafür kann es auch nicht geben. Tatsächlich ist die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 133 Abs. 1 InsO nur ein Trick, mit dem geschickt verschleiert wird, daß sich das Gericht über das Gesetz hinwegsetzt:

§ 133 Abs. 1 InsO ist nicht der einzige Anfechtungstatbestand. Für die Anfechtung von Sicherungen und Befriedigungen (sog. Deckungen), die jemand erhalten oder erlangt hat, der Insolvenzgläubiger wäre, wenn bereits ein Insolvenzverfahren über das Vermögen seines Schuldners eröffnet gewesen wäre, enthält die Insolvenzordnung in den §§ 130, 131 InsO spezielle Anfechtungstatbestände. Die Anfechtung nach den §§ 130, 131 InsO betrifft nicht unredliche Vermögensverschiebungen, sondern die Begünstigung einzelner Gläubiger des bereits zahlungsunfähigen Schuldners. Es geht um die Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung: Ist der Schuldner zahlungsunfähig, haben alle (ungesicherten) Gläubiger nur noch einen Anspruch auf gleichmäßige Befriedigung. Es darf dann nicht der Zufall, ein besonderer Informationsvorsprung oder Sympathie darüber entscheiden, welcher Gläubiger Geld erhält und welcher leer ausgeht. Das ist die Legitimationsgrundlage für die in den §§ 130, 131 InsO geregelte besondere Insolvenzanfechtung. Um einen Benachteiligungsvorsatz geht es in diesen Vorschriften nicht.

Das Problem für den BGH ist nur, daß der Gesetzgeber für (kongruente und inkongruente) Deckungen eine Anfechtungsfrist von maximal drei Monaten bestimmt hat. Leistungen, die länger als drei Monate vor Insolvenzantragstellung erfolgt sind, können nach den §§ 130, 131 InsO nicht angefochten werden.

Für vorsätzliche Gläubigerbenachteiligungen gilt demgegenüber eine Anfechtungsfrist von zehn Jahren.

Um diese erheblich längere Anfechtungsfrist auch auf (kongruente und inkongruente) Deckungen anwenden zu können, die ganz normale Gläubiger erhalten, mußte der Bundesgerichtshof einen Weg finden, auch Sicherungen und Befriedigungen zu vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligungen erklären zu können.

Um zu erkennen, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 133 Abs. 1 InsO bloß ein Trick ist, damit er nicht offen aussprechen muß, daß er sich um die in den §§ 130, 131 InsO gesetzlich bestimmten kurzen Anfechtungsfristen nicht schert, muß man nur der Frage nachgehen, was § 133 Abs. 1 InsO nach der Rechtsprechung des BGH noch von § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterscheidet: Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine (innerhalb von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgte) kongruente Deckung anfechtbar, wenn der begünstigte Gläubiger wußte, daß sein Schuldner zahlungsunfähig ist. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt der von § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht mehr, als daß der Schuldner seine eigene Zahlungsunfähigkeit kannte. Das bedeutet praktisch, daß sich die Anfechtungsfrist für eine kongruente Deckung von drei Monaten auf zehn Jahre verlängert, wenn nicht nur der begünstigte Gläubiger die wirtschaftliche Lage seines Schuldners kannte, sondern auch dieser selbst über seine Zahlungsunfähigkeit im Bilde war.

Es wird selten vorkommen, daß ein Fremder über die eigene wirtschaftliche Situation besser Bescheid weiß. Es ist deshalb kaum vorstellbar, daß der Gesetzgeber nur für den äußerst seltenen Fall, daß nur der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners kannte, die kurze Anfechtungsfrist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgesehen hat. Es ist kaum vorstellbar, daß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nach dem Willen des Gesetzgebers neben § 133 Abs. 1 InsO praktisch keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat. Jedenfalls aber kann der Umstand, daß auch der Schuldner seine eigene Zahlungsunfähigkeit kannte, als er eine Rechnung beglich, keine Legitimation dafür sein, die Anfechtungsfrist zu vervierzigfachen!

Alle Rechtsunsicherheiten, die der Bundesregierung ausweislich der Entwurfsbegründung Anlaß für die geplante Reform der Insolvenzanfechtung sind, beruhen darauf, daß der Bundesgerichtshof die Vorsatzanfechtung in Abkehr von der mehr als anderthalbtausendjährigen Rechtsgeschichte auch auf Leistungen an normale Gläubiger anwendet, nur um sich nicht offen über die gesetzlich festgelegten kurzen Anfechtungsfristen der 130, 131 InsO hinwegzusetzen.

Wenn der Gesetzgeber diese Rechtsunsicherheiten beseitigen will, muß er dieser Rechtsprechung ein Ende bereiten. Er muß dann klarstellen, daß § 133 Abs. 1 InsO nur auf unlautere Vermögensverschiebungen Anwendung findet.

Wenn er der Auffassung ist, daß eine Anfechtungsfrist von 4 Jahren für kongruente und inkongruente Deckungen angemessen ist, wie in dem Gesetzentwurf vorgesehen, muß er die Anfechtungsfristen in 130, 131 InsO verlängern, nicht Sonderregeln in § 133 InsO einführen. Es ist gesetzessystematisch völlig verfehlt, die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorsatzanfechtung auch noch für richtig zu erklären, indem § 133 InsO um folgende zwei Absätze ergänzt wird:

(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit zu beanspruchen hatte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleicherung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.



© 2015 Thore Jensen

Mittwoch, 1. April 2015

Reform der Insolvenzanfechtung: Mehr Sicherheit vor Insolvenzanfechtungsklagen?

Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Insolvenzanfechtungsrecht muß ein Lieferant, dessen Kunde sich bekanntermaßen in Zahlungsschwierigkeiten befindet, für viele Jahre damit rechnen, daß er Zahlungen, die er von diesem noch erhält, später an einen Insolvenzverwalter zurückerstatten muß. Die Anfechtung betrifft gerade nicht nur unredliche Vermögensverschiebungen, sondern in der Mehrzahl der Fälle Zahlungen auf ganz normale Rechnungen für reguläre Warenlieferungen, Dienstleistungen usw.

Die Anfechtungsrisiken können für viele Unternehmen existenzbedrohend sein. Deshalb sind gegen diese Rechtsprechung in den letzten Jahren nicht nur Teile der Wissenschaft, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsverbände Sturm gelaufen.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat jetzt am 16. März 2015 einen „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vorgelegt. Mit der geplanten Gesetzesänderung soll das Anfechtungsrecht „punktuell neu justiert werden, um übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden“.

In der Begründung des Entwurfs wird ausdrücklich eingeräumt, daß die derzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Insolvenzanfechtungsrecht zu „Rechtsunsicherheiten [führt], welche die Praxis vor erhebliche Probleme bei der Prognose über den Ausgang anfechtungsrechtlicher Streitigkeiten stellen“. Das werde etwa von Bork konstatiert und unter anderem darauf zurückgeführt, „dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer überbordenden Ausdifferenzierung der Rechtsmaterie geführt habe, welche die Instanzgerichte überfordere.“ Das Insolvenzanfechtungsrecht lasse sich deshalb auch in der Beratungspraxis nicht mehr angemessen vermitteln.

Geändert werden soll u.a. die Vorschrift des § 133 InsO (Vorsätzliche Benachteiligung). Nach dem Entwurf soll sie folgenden Wortlaut erhalten (geplante Änderungen unterstrichen):

„(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger unangemessen zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Eine unangemessene Benachteiligung liegt nicht vor, wenn 

1. für die Leistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist, oder
2. die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist.

Es wird vermutet, dass der andere Teil den Vorsatz des Schuldners kannte, wenn er zur Zeit der Rechtshandlung wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger unangemessen benachteiligte.

(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.

(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt bei der Vermutung nach Absatz 1 Satz an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die eingetretene. Die Kenntnis des anderen Teils vom Vorsatz des Schuldners kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass
1. der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung nach § 802b Absatz 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung abgeschlossen hat oder
2. der Schuldner beim anderen Teil im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine Zahlungserleichterung nachgesucht hat.

(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.“

Die Vorschrift soll damit mehr also doppelt so lang werden wie bisher. Daß dadurch für mehr Rechtssicherheit gesorgt würde, ist schon deswegen sehr zu bezweifeln, weil etwa mit dem Wort „unangemessen“ ein weiterer unbestimmter Rechtsbegriff aufgenommen würde, der durch die Rechtsprechung anschließend erst einmal konkretisiert werden müßte. Das Hauptproblem ist, daß kategorial unterschiedliche Fälle in einer Vorschrift zusammen geregelt werden sollen. Gerade das aber ist der Grund für die Rechtsunsicherheit, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt:

Folgt man der mehr als zweitausendjährigen Rechtsgeschichte, soll die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung die Gläubiger davor schützen, daß ihr bankrotter Schuldner sein Hab und Gut beiseiteschafft und ihrem Vollstreckungszugriff entzieht. In diesen Fällen will der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen gerade nicht nachkommen, sondern dafür sorgen, daß seine Gläubiger leer ausgehen. In diesen Fällen ist die unredliche Absicht des Schuldners der tragende Grund für die Anfechtung.

Neben Vorsatz- und Schenkungsanfechtung gibt es die sog. besondere Insolvenzanfechtung, mit der die bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger rückgängig gemacht werden kann. Anfechtungsgrund ist in diesen Fällen nicht ein Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, sondern allein die objektive Tatsache der Zahlungsunfähigkeit: Wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, alle seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, dann führt die Zahlung an einen Gläubiger dazu, daß die übrigen Gläubiger benachteiligt werden.

Für die letzteren Fälle hat der Gesetzgeber allerdings im § 130 InsO eine Anfechtungsfrist von maximal drei Monaten bestimmt. Zweck dieser kurzen Anfechtungsfrist ist es, das Vertrauen des begünstigten Gläubigers in die Rechtsbeständigkeit der erhaltenen Zahlung zu schützen. Immerhin hat er ja nur das bekommen, worauf er einen regulären Anspruch hatte!

Dem Bundesgerichtshof ist die dreimonatige Anfechtungsfrist zu kurz. Deshalb wendet er die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO nicht nur auf unredliche Vermögensverschiebungen, sondern auch auf die Fälle bevorzugter Befriedigung einzelner Gläubiger an, indem er aus der Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit dessen Benachteiligungsvorsatz ableitet: Wisse der Schuldner, daß er nicht mehr alle Verbindlichkeiten erfüllen kann, bezahle er aber trotzdem die Rechnung eines Gläubigers, dann wisse er und wolle er damit auch, daß seine übrigen Gläubiger benachteiligt werden.

Der Bundesgerichtshof muß sich jedoch fragen lassen, welchen Sinn der „Benachteiligungsvorsatz“ des Schuldners als Tatbestandsvoraussetzung seiner Auffassung nach hat: Für die besondere Insolvenzanfechtung nach den §§ 130, 131 InsO ist es unerheblich, was der Schuldner gedacht oder gewollt hat, als der Gläubiger die Zahlung erhalten hat. Es genügt für die Anfechtbarkeit, daß der befriedigte Gläubiger wußte, daß sein Schuldner zahlungsunfähig ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die bevorzugte Befriedigung eines Gläubigers der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO und damit einer um neun Jahre und neun Monate längeren Anfechtungsfrist, wenn nicht nur der Gläubiger, sondern auch der Schuldner selbst weiß, daß er zahlungsunfähig ist. Dann nämlich soll im Regelfall anzunehmen sein, daß der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handle. Wenn nur der Gläubiger weiß, daß der Schuldner zahlungsunfähig ist, unterliegt eine von diesem geleistete Zahlung einer Anfechtungsfrist von drei Monaten, weiß es auch der Schuldner selbst, einer von zehn Jahren. Das ist absurd. Die Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit kann es nicht rechtfertigen, daß sich die Anfechtungsfrist für eine von ihm geleistete Zahlung um mehrere Jahre verlängert.

Es wird jedoch kaum je vorkommen, daß der Gläubiger über die finanzielle Situation seines Schuldners besser Bescheid weiß als dieser selbst. Wenn schon der Gläubiger weiß, daß sein Schuldner zahlungsunfähig ist, dann wird dieser erst recht wissen, daß er insolvent ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bewirkt also im Ergebnis nur, daß die vom Gesetzgeber in den §§ 130, 131 InsO bestimmte kurze Anfechtungsfrist von drei Monaten unterlaufen wird.

Mit einer Gesetzesänderung müßte deshalb dafür gesorgt werden, daß die Fälle bevorzugter Befriedigung einzelner Gläubiger, in denen der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung von einem Vorsatz des Schuldners völlig unabhängig ist, und die Fälle unredlicher Vermögensverschiebungen, in denen der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon die tragenden Legitimationsgrundlagen für die Anfechtung darstellen, präzise und eindeutig voneinander getrennt werden.

Mit einer solchen systematischen Klarstellung würde sehr viel für die Rechtssicherheit des Geschäftsverkehrs erreicht. Mit der jetzt vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgeschlagenen Gesetzesänderung würde die Unsicherheit voraussichtlich noch größer.

© 2015 Thore Jensen

Ergänzung vom 14.4.2015:
Nach dem Referentenentwurf, soll eine „unangemessene Benachteiligung“ der Gläubiger nicht vorliegen, wenn für die Leistung des Schuldners „unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist“. – Aus dieser Einschränkung ergibt sich im Umkehrschluß, daß künftig sogar derjenige, der einem (möglicherweise) Zahlungsunfähigen zu einem vollkommen angemessenen Preis und gegen Barzahlung eine Sache verkauft, mindestens vier Jahre lang fürchten müßte, den Kaufpreis an einen Insolvenzverwalter zurückerstatten zu müssen, wenn der Käufer zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs nicht zwingend auf diese Sache angewiesen war! Bislang sind solche Geschäfte als Bargeschäfte nach § 142 InsO der Anfechtung entzogen. Es ist auch völlig richtig, daß ein Händler, der eine Ware nicht auf Kredit verkauft, sich nicht darum scheren muß, ob der Käufer möglicherweise kurz vor der Insolvenz steht.

Wenn das Justizministerium wirklich meint, was es es mit dieser Klausel ausdrückt, dann ist die Behauptung, es solle das Anfechtungsrecht „punktuell neu justiert werden, um übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs“ zu vermeiden, eine üble Täuschung über den in Wirklichkeit gegensätzlichen Willen: Wenn man nicht einmal mehr gegen Barzahlung Waren verkaufen kann, ohne prüfen zu müssen, ob der Kunde die Ware unbedingt braucht und nicht insolvent ist, dann ist es zappenduster in Deutschland! Die Anfechtungsrisiken würden so drastisch steigen und so unkalkulierbar werden, daß viele Händler und Gewerbetreibende ernsthaft erwägen müßten, ihr Geschäft zu schließen. 

Mittwoch, 25. März 2015

München-Fonds KG II: Landgericht Hamburg weist Klage des Insolvenzverwalters der Infraplan ab

**** Update vom 13.2.2016: Urteil des Landgerichts rechtskräftig ***

Das Hanseatische Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.3.2015 mit Zurückweisungsbeschluß vom 2.2.2016 (Az 14 U 41/15) in vollem Umfang bestätigt. Die Klage des Insolvenzverwalters der Infraplan Gesellschaft für Infrastrukturplanung, Gewerbe- und Wohnbau mbH & Co. Betriebs-KG ist damit rechtskräftig abgewiesen.
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Wie mit ihr mehrere hundert weitere Anleger hatte sich meine Mandantin 2006 (mittelbar über einen Registertreuhänder) als Kommanditistin an der München-Fonds-Projekt GmbH & Co. Investitions KG II beteiligt. Der Anlagebetrag lag bei 20.000,- € zzgl. Agio.

Mit dem Geld der Anleger beteiligte sich die Fondsgesellschaft ihrerseits jeweils als sog. atypisch stille Gesellschafterin an insgesamt 9 Projektgesellschaften. Die Projektgesellschaften errichteten v.a. Eigentumswohnanlagen in und in der Umgebung von München.

Nach dem Fondsprospekt sollte das von den Anlegern zur Verfügung gestellte Kapital nach einer Investitionsdauer von maximal 42 Monaten zurückgezahlt werden. Anfang 2010 wurde den Anlegern jedoch mitgeteilt, daß die Fondsgesellschaft wegen angeblicher Verluste mehrerer Projektgesellschaften nicht in der Lage sei, ihnen das Geld vollständig zurückzuzahlen.

Im August 2010 bot dann allerdings die Initiatorin des Fonds, – die Infraplan Gesellschaft für Infrastrukturplanung, Gewerbe- und Wohnbau mbH & Co. Betriebs-KG (kurz: Infraplan) –, den Anlegern an, ihnen die (mittelbaren) Kommanditbeteiligungen sowie sämtliche mit der Beteiligung im Zusammenhang stehenden Ansprüche abzukaufen. Es gab zwei verschiedene Angebotsvarianten (A und B). Nach der Variante A, für die sich meine Mandantin entschied, erhielt sie als Kaufpreis den Nominalbetrag ihrer Kommanditeinlage, d.h. 20.000,- €. Der Betrag wurde auch tatsächlich an sie überwiesen.

Über das Vermögen der Infraplan wurde jedoch am 1.6.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Herbst 2014 erhob deren Insolvenzverwalter gegen meine Mandantin Klage auf Rückzahlung von 75 % des an sie gezahlten Kaufpreises. Die verkaufte Kommanditbeteiligung sei wegen der entstandenen Verluste bei den Projektgesellschaften nur maximal 5.000,- € wert gewesen. Von den als Kaufpreis gezahlten 20.000,- € seien deshalb 15.000,- € als unentgeltliche Leistung zu bewerten. Diesen Betrag verlangt er im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO von meiner Mandantin zurück.

Diese Klage ist jetzt vom Landgericht Hamburg mit Urteil vom 19.3.2015 (Az. 321 O 167/14) vollständig abgewiesen worden. Das Gericht folgte insbesondere der von uns im Prozeß dargelegten Auffassung, daß der gezahlte Kaufpreis von 20.000,- € jedenfalls deswegen keine teilweise unentgeltliche Leistung darstellt, weil von meiner Mandantin nach dem Kaufvertrag als Gegenleistung für diesen Betrag nicht nur die Kommanditbeteiligung übertragen worden ist, sondern zusätzlich sämtliche in Betracht kommenden Schadensersatzansprüche gegen alle möglichen Beteiligten.

Die Frage, ob die Klage auch wegen Wegfalls der Bereicherung unbegründet ist, ließ das Gericht offen, da es hierauf nicht mehr ankam.

Anleger der München-Fonds KG II, die ihre Kommanditbeteiligung an die Infraplan verkauft haben und nun von deren Insolvenzverwalter nach § 134 Abs. 1 InsO auf (teilweise) Rückzahlung in Anspruch genommen werden, sollten nicht vorschnell klein beigeben.

© 2015 Thore Jensen


Donnerstag, 26. Juni 2014

Serienanfechtungen mit einer negativen Feststellungsklage begegnen

Insolvenzanfechtungsansprüche werden von Insolvenzverwaltern reihenweise erhoben. Nicht selten werden nahezu sämtliche oder jedenfalls ein sehr großer Teil der Zahlungen angefochten, die vom Insolvenzschuldner in den letzten Jahren vor dem Insolvenzantrag noch an Lieferanten, Sozialkassen, Finanzamt etc. geleistet wurden. Zur Begründung, warum die Zahlungen anfechtbar sein sollen, wird in den außergerichtlichen Anspruchsschreiben häufig wenig vorgetragen.

In einem aktuellen, in der ZInsO (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht) 2014, S. 1083 ff. veröffentlichten Aufsatz empfiehlt Bruns den Anfechtungsgegnern, solchen “ins Blaue hinein” behaupteten Insolvenzansprüchen mit einer sog. negativen Feststellungsklage zu begegnen.

Eine negative Feststellungsklage ist eine Klage, die darauf gerichtet ist, feststellen zu lassen, daß ein vom Gegner behaupteter Anspruch nicht bestehe.

Die von Insolvenzverwaltern geltend gemachten Insolvenzanfechtungsansprüche sind nicht selten sehr hoch, so daß sie für den Anfechtungsgegner im Einzelfall existenzbedrohend sein können. Die Unsicherheit, ob ein angeblicher Insolvenzanfechtungsanspruch tatsächlich besteht, kann deshalb außerordentlich belastend sein. Der Anfechtungsgegner muß in einer solchen Situation aber nicht – u.U. jahrelang – abwarten, ob der Insolvenzverwalter gegen ihn Anfechtungsklage erhebt, sondern er kann diesen mittels negativer Feststellungsklage frühzeitig zwingen, “seine Karten auf den Tisch zu legen" und den behaupteten Anspruch substantiiert zu belegen.

Für eine frühzeitige gerichtliche Klärung kann, so auch Bruns, außerdem sprechen, daß tatsächlich bestehende Insolvenzanfechtungsansprüche vom Anfechtungsgegner ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen sind. Insolvenzverwalter machen sich das zunutze, indem sie Anfechtungsklagen erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist erheben. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Anfechtungsgegner zweifelsfrei solvent ist. Auf diese Weise erreichen sie für die Insolvenzmasse eine sehr hohe Kapitalverzinsung, die weit über dem Guthabenzins liegt, den eine Bank zahlen würde.

© 2014 Thore Jensen


Mittwoch, 23. April 2014

Schulden geerbt?

Mit dem Erbfall gehen auch die Schulden auf den oder die Erben über. Die Erben werden Gesamtrechtsnachfolger des Verstorbenen. Manchmal sind die Schulden höher als das Vermögen. Das wiederum stellt sich oft erst heraus, wenn die sechswöchige Frist, innerhalb der das Erbe hätte ausgeschlagen werden können, längst abgelaufen ist.

Das aber bedeutet keineswegs, daß die Erben jetzt unweigerlich mit ihren gesamten (Eigen-)Vermögen sowie mit ihren Einkommen für die geerbten Schulden einzustehen haben. Die Erben können dafür sorgen, daß sie für diese Schulden nur mit dem Nachlaß haften müssen. Zwar können die Erben die Möglichkeit verlieren, eine Haftungsbeschränkung herbeizuführen. Grundsätzlich ist es aber auch noch Jahre nach dem Erbfall möglich, die Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß zu erreichen.

Erben, die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch minderjährig waren, haben darüber hinaus die Möglichkeit,  dafür zu sorgen, daß sie für geerbte Schulden nur mit demjenigen Vermögen haften, das sie bei Eintritt der Volljährigkeit hatten.

© 2014 Thore Jensen

Sonntag, 13. April 2014

Neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen

Die außerordentlich anfechtungsfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO wird nicht nur von zahlreichen Rechtsanwälten und Hochschullehrern sowie mehreren Unternehmensverbänden scharf kritisiert, sondern hat inzwischen auch die Bundesregierung auf den Plan gerufen. Auf dem 11. Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin hat Bundesjustizminister Maas das Insolvenzanfechtungsrecht jüngst als aktuell größte Baustelle im Insolvenzrecht bezeichnet. Gesetzesänderungen sollen die gegenwärtig völlig unkalkulierbaren und nicht selten existenzbedrohenden Anfechtungsrisiken eindämmen. – Schätzungen gehen davon aus, daß gegen zwei Drittel aller Unternehmen in Deutschland jedes Jahr mindestens einmal von einem Insolvenzverwalter ein Insolvenzanfechtungsanspruch geltend gemacht wird.

Von der Insolvenzanfechtung sind aber nicht nur Lieferanten und Geschäftspartner insolventer Unternehmen sowie Finanzämter und Sozialkassen betroffen, sondern nicht selten auch Arbeitnehmer, die Lohnzahlungen erhalten haben, als ihr Arbeitgeber schon zahlungsunfähig war.

In einem Fall, der vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 29.01.2014 – Az. 6 AZR 345/12 – entschieden wurde, verlangte der Insolvenzverwalter eines Unternehmens von einer teilzeitbeschäftigten Angestellten, dass sie Nettolohnzahlungen in Höhe von mehr als 10.000,- € zurückzahlt, die sie von ihrem Arbeitgeber in den letzten knapp 8 Monaten vor Insolvenzantragstellung erhalten hatte. Siehe hierzu auch die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.01.2014.

Die auf § 133 Abs. 1 InsO gestützte Klage des Insolvenzverwalters hatte keinen Erfolg, und dies auch m.E. sehr zu recht. Bemerkenswert ist, daß sich das Bundesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen sehr ausführlich mit der Kritik auseinandersetzt, die in der Literatur an der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung geübt wird, und danach eine Position vertritt, die sich m.E. sehr deutlich von der Linie des Bundesgerichtshofs unterscheidet.

Ein Leitsatz des Urteils des Bundesarbeitsgerichts lautet: “Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sind nicht stets schon dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig war und der Arbeitnehmer dies wusste. Vielmehr muss das Indiz der Zahlungsunfähigkeit und ihrer Kenntnis einzelfallbezogen auf seine Beweiskraft hin geprüft werden. Das gilt sowohl für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten des Schuldners als auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon. Bei Zahlungen im Rahmen eines Bargeschäfts oder in bargeschäftsähnlicher Lage ist darauf zu achten, dass die Vorsatzanfechtung nicht über ihren Normzweck hinaus ausgedehnt und dass dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Stufenverhältnis von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO und § 133 InsO Rechnung getragen wird.”

Ich vertrete seit langem die Auffassung, dass eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 133 InsO niemals vorliegen kann, wenn ein ganz normaler Gläubiger von seinem Schuldner nur das erhalten hat, worauf er einen regulären vertraglichen Anspruch hatte. Es muß anfechtungsrechtlich einen Unterschied machen, ob jemand, der seinen wirtschaftlichen Zusammenbruch kommen sieht, Vermögensgegenstände beiseiteschafft, um sie der Haftung zu entziehen, oder ob er lediglich Rechnungen bezahlt, obwohl er augenscheinlich nicht mehr allen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.

© 2014 Thore Jensen

Montag, 3. März 2014

Das Pfandrecht des Spediteurs kann sehr wertvoll sein

Neben bzw. unabhängig von dem vertraglichen Pfandrecht nach Nr. 20 ADSp erwerben Spediteure  gemäß § 440 HGB zur Sicherung ihrer Forderungen ein gesetzliches Pfandrecht an dem versendeten Gut. Dieses Pfandrecht kann sogar dann entstehen, wenn der Versender selbst nicht Eigentümer dieses Gutes ist. Notwendig ist dann nur, daß der Dritteigentümer mit der Versendung einverstanden ist. Das ist im Handelsverkehr typischerweise der Fall.

Entsprechende Regelungen bestehen auch zugunsten von Kommissionären, Frachtführern, Lagerhaltern und Verfrachtern beim Seefrachtvertrag.

Was den Umfang der gesicherten Forderungen angeht, besteht jedoch ein erheblicher Unterschied zwischen dem Fall, daß dem Versender die Waren selbst gehören, und dem, daß der Eigentümer lediglich mit der Versendung einverstanden ist: Im zweiten Fall sichert das Pfandrecht nur die Forderungen aus dem jeweiligen Speditionsvertrag, im ersten Fall auch offene Forderungen, die dem Spediteur gegen den Versender aus früheren Aufträgen zustehen (sog. inkonnexe Forderungen).

In einem vom Bundesgerichtshof im Jahre 2005 entschiedenen Fall hatte ein Frachtführer gegen einen Kunden aus zahlreichen Transportaufträgen offene Forderungen in einer Gesamthöhe von über 130.000,- DM. Er erhielt von dem Kunden dann einen neuen Auftrag zum Transport eines Schiffsruders im Wert von mehr als 200.000,- DM. Der Frachtlohn für diesen Transport betrug etwa 5.000,- DM.

Nachdem der Frachtführer das Schiffsruder bei seinem Kunden abgeholt hatte, erklärte er diesem, er werde das Ruder erst dann weiterbefördern, wenn eine Regelung zur Begleichung seiner offenen Altforderungen getroffen sei. Es wurde daraufhin vereinbart, daß die Schiffswerft, zu der das Schiffsruder transportiert werden sollte, von dem Werklohn, den sie dafür zu zahlen hatte, einen Teil von ca. 135.000,- DM direkt an den Frachtführer zahlt. Diese Zahlung ist dann auch entsprechend geleistet worden.

Kurz darauf wurde gegen den Kunden des Frachtführers ein Insolvenzantrag gestellt. Nach Verfahrenseröffnung verlangte der Insolvenzverwalter vom Frachtführer die Rückzahlung der 135.000,- DM, die dieser vereinbarungsgemäß direkt von der Schiffswerft erhalten hatte. Die Zahlung sei als eine sog. inkongruente Deckung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anzusehen. Er könne deshalb im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr des Betrages verlangen.

Die Klage des Insolvenzverwalters hatte beim Bundesgerichtshof jedoch keinen Erfolg. Der Frachtführer durfte das Geld behalten, obwohl er mit dem Pfandrecht erst nachträglich und zudem erst kurz vor Insolvenzantragstellung eine Sicherheit für seine offenen Altforderungen erhalten hatte: Das gesetzliche Pfandrecht des Frachtführers begründe keine inkongruente Deckung. Gleiches gelte auch für die zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung, nach der das Pfandrecht durch Direktzahlung der Schiffswerft abgelöst wurde.

Wäre der Kunde des Frachtführers nicht selbst Eigentümer des Schiffsruders gewesen, dann hätte das Pfandrecht nur die Forderungen des Frachtführers aus dem konkreten Transportauftrag gesichert. Das wären lediglich 5.000,- DM gewesen.

Wenn ein Händler Ware versendet, die er selbst unter Eigentumsvorbehalt gekauft aber noch nicht bezahlt hat, dann sichert das gesetzliche Pfandrecht des Frachtführers nur dessen Forderungen aus dem konkreten Transportauftrag, nicht auch seine Altforderungen. Das gesetzliche Pfandrecht ist dann also beträchtlich weniger wert.

Vertraglich könnte jedoch grundsätzlich mit dem Vorbehaltseigentümer ein Pfandrecht zugunsten des Frachtführers vereinbart werden, das auch dessen Altforderungen aus früheren Transportaufträgen sichert. Zu einer solchen Pfandrechtsvereinbarung mag ein Vorbehaltseigentümer u.U. durchaus zu bewegen sein, wenn der Eigentumsvorbehalt als Sicherheit für seine Kaufpreisforderung dadurch nicht entwertet wird und er für die Bestellung des Pfandrechts eine Vergütung erhält.

Eine interessante Frage ist, ob eine solche Vereinbarung nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden könnte, wenn über das Vermögen des Absenders ein Insolvenzverfahren eröffnet würde.

Angenommen, der Absender hat die vom Frachtführer zu transportierende Ware bei seinem Lieferanten unter Eigentumsvorbehalt zu einem Kaufpreis von 100.000,- € gekauft. Seinerseits hat er sie an den Abnehmer zu einem Preis von 150.000,- € weiterverkauft. Für den Transport der Ware zu dem Abnehmer steht dem Frachtführer ein Frachtlohn von 5.000,- € zu. Der Frachtführer hat daneben gegen den Absender aber noch offene Altforderungen von 45.000,- €. Weil die Ware wegen des Eigentumsvorbehalts des Lieferanten dem Absender (noch) nicht gehört, sichert das gesetzliche Pfandrecht nach § 440 Abs. 1 HGB nur den Frachtlohnanspruch für den Transport dieser Ware. Könnte der Frachtführer mit dem Vorbehaltseigentümer ein vertragliches Pfandrecht vereinbaren, das auch die Altforderungen sichert und sodann die weitere Beförderung der Ware davon abhängig machen, daß auch seine Altforderungen aus dem vom Abnehmer zu zahlenden Kaufpreis beglichen werden? Würde eine solche Vereinbarung zwischen dem Frachtführer und dem Vorbehaltseigentümer bewirken, daß die beiden den vom Abnehmer geschuldeten Kaufpreis von 150.000,- € auch dann allein unter sich aufteilen könnten, wenn vor Ablieferung der Ware an den Abnehmer ein (begründeter) Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Absenders gestellt wird? Oder könnte der Insolvenzverwalter die Vereinbarung nach §§ 129 ff. InsO anfechten und jedenfalls 45.000,- € für die Insolvenzmasse beanspruchen?

Ich hielte das auch angesichts der erwähnten BGH-Entscheidung für zumindest sehr zweifelhaft.

Durch richtiges Vorgehen kann man als Frachtführer also u.U. viel Geld retten.

© 2014 Thore Jensen